Libra – Konzept und wirtschaftspolitische Implikationen

Apr 13, 2023 | Wissenschaftliche Publikationen

Die Ankündigung der Libra Association, mit Libra eine private globale Währung zu emittieren, hat eine heftige Debatte über die damit verbundenen Chancen und Risiken ausgelöst. Befürworter erwarten, dass Libra das Geldsystem von seinen „staatlichen Fesseln“ befreien und den Zahlungsverkehr weltweit liberalisieren und verbilligen kann. Gegner argumentieren, dass eine private Währung erhebliche Risiken für den einzelnen Nutzer und das gesamte Finanzsystem mit sich bringt. Darüber hinaus könne Libra die Effizienz der nationalen Geldpolitiken einschränken. Dieser Beitrag erläutert das Konzept von Libra und leitet aus deren Vor- und Nachteilen das Marktpotenzial von Libra ab. Zudem werden Implikationen für die Geldpolitik und die Finanzmarktregulierung beleuchtet.

Im Juni 2019 sorgte ein von Facebook geführtes Konsortium, die Libra Association, weltweit für Aufsehen, als es die Einführung der Kryptowährung „Libra“ für das Jahr 2020 ankündigte. Ziel dieses Projekts sei es, „eine einfache, globale Währung und finanzielle Infrastruktur bereitzustellen, die das Leben für Milliarden von Menschen leichter macht.“1 Im Sinne einer besseren finanziellen Inklusion sollen „mehr Menschen Zugriff auf Finanzdienstleistungen und günstiges Kapital“2 erhalten. Dies soll mittels einer Währung erreicht werden, „die auf einer sicheren und stabilen Open-Source-Blockchain [Libra-Blockchain] basiert, die durch eine Reserve aus echten Wertanlagen [Libra-Reserve] gestützt und von einer unabhängigen Organisation [Libra Association] verwaltet wird.“3

Es kann nicht überraschen, dass schon die Ankündigung eines solchen Projekts vielfältige Reaktionen provoziert hat. Befürworter erwarten, dass mit Libra die Effizienz des internationalen Zahlungsverkehrs deutlich verbessert werden kann.4 Sie sehen auch die Chance, dass mit einem neuen privaten Geld Währungskonkurrenz im Sinne der Hayek‘schen Entnationalisierung des Geldes entsteht und so die (politökonomischen) Probleme staatlichen Geldes sowie des darauf aufbauenden Kreditgeldsystems überwunden werden können.5 Kritiker verweisen dagegen vor allem auf die Gefahren für die Finanzstabilität – nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen während der großen Finanzkrise 2008. Mit Einführung der Libra wird ein großer internationaler Reservefonds geschaffen, die sogenannte Libra-Reserve, von dem im Krisenfall erhebliche Ansteckungseffekte und systemische Risiken ausgehen könnten. Entsprechend wird eine umfassende, international abgestimmte Regulierung, zum Teil auch das Verbot des Libra-Projekts gefordert.6

Das Konzept von Libra

Libra soll „die Eigenschaften der besten Währungen der Welt vereinen: Stabilität, geringe Inflationsrate, starke weltweite Akzeptanz und Fungibilität.“7 Als vollwertiges Geld soll sie nicht nur als Zahlungs-, sondern auch als Wertaufbewahrungsmittel und Recheneinheit dienen.8 Dazu könnten Finanzdienstleister im Umfeld der neuen Währung neue Produkte, wie z. B. auf der Libra-Blockchain basierende Smart Contracts, entwickeln, um die Abwicklung von Zahlungen und Krediten zu vereinfachen und zu automatisieren. Auch Anwendungen für die Bereiche „Internet der Dinge“ und „Industrie 4.0“ sind naheliegend. So ließen sich z. B. Warenströme an Maschine-zu-Maschine-Zahlungen in Libra koppeln.9 Damit könnte ein eigenständiger, supranationaler, auf Libra basierender Finanzsektor entstehen. Wie bei anderen – bisher in der Regel staatlichen – Währungsregimen auch, wird die Qualität von Libra, und damit ihre Akzeptanz, wesentlich von einer Reihe institutioneller Grundsatzentscheidungen bestimmt, den „Rules of the Game“10. Dazu gehören etwa die Wahl der Ankerwährung, der angestrebte Zielwechselkurs, der Grad der Wechselkursstabilität und die Regeln für die Anpassung der Spielregeln.

Damit Libra als wertstabiles Geld wahrgenommen und akzeptiert wird, ist sie als sogenannter Stable Coin konzipiert, d. h. die ausgegebenen Libra werden durch Staatspapiere und Bankeinlagen in Fiat-Währungen gedeckt und erhalten dadurch einen intrinsischen Wert.11 Der Wert der Libra soll dabei nicht, wie sonst in Fixkurssystemen üblich, gegenüber einer einzelnen Ankerwährung stabilisiert werden. Stattdessen soll ein Korb aus verschiedenen Fiat-Währungen gewählt werden, der ähnlich den Sonderziehungsrechten (SZR) des Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgestaltet ist. Institutionell soll dieses Konzept in einer Art Currency Board umgesetzt werden. Danach erhöht sich die Libra-Geldmenge nur dann, wenn Investoren und Privatkunden Libra gegen Fiat-Währungen kaufen. Mit diesen Einnahmen wird wiederum der Aufbau der Währungsreserven finanziert. Technisch soll die Schnittstelle zwischen Fiat-Währung und Libra durch „autorisierte Wiederverkäufer“ bedient werden.

Das Libra Oekosystem
Quelle: Eigene Darstellung

Wie in Abbildung 1 dargestellt, kommen diese ins Spiel, wenn Kunden Libra gegen Fiat-Währung an Börsen oder mittels eines digitalen Geldbeutels (Wallet) erwerben möchten, um sie anschließend untereinander über die Blockchain zu transferieren. Die Wiederverkäufer tauschen bei der Libra Association Libra gegen kurzfristige Staatsanleihen und Bankeinlagen (Libra-Reserve), die sie mit den zuvor erhaltenen Fiat-Währungen erworben haben.12 Da der Wert der Libra gegenüber einem Währungskorb aus US-Dollar, Euro, Yen und Britischem Pfund stabilisiert werden soll, liegt es nahe, für die bei der Libra Association hinterlegten Währungsreserven eine entsprechende Währungsstruktur zu wählen.13 Da die ausgegebenen Libra vollständig mit wertstabilen Finanzassets hinterlegt sind, ist die Libra-Reserve faktisch ein großer international anlegender Geldmarktfonds mit dem Anlageschwerpunkt internationale Bankeinlagen und kurzfristige Staatspapiere. Eine Libra ist damit (auch) ein Anteilsschein an diesem Investmentfonds. Dieses Zertifikat hat den besonderen Vorteil, dass es als internationales Zahlungsmittel eingesetzt werden kann, indem Fondsanteile auf Basis der Libra-Blockchain direkt zwischen Kunde A und Kunde B transferiert werden.14

Der Wert des in der Libra-Reserve hinterlegten Portfolios wird aus Sicht der Libra-Halter vor allem durch zwei Faktoren bestimmt: der Entwicklung der Kurse der hinterlegten Assets und der Wechselkurse, in denen diese Assets denominiert sind. Das Wechselkursrisiko besteht darin, dass die Wertentwicklung der Libra von dem der Libra-Reserve zugrundeliegenden Währungskorb abhängt und die darin enthaltenen Währungen zueinander schwanken. Somit wird der Libra-Wechselkurs und damit die Kaufkraft der Libra gegenüber jeder Fiat-Währung, insbesondere auch den Korbwährungen, schwanken. Abbildung 2 zeigt, wie sich der Euro- bzw. US-Dollar-Wechselkurs eines exemplarischen Währungskorbs, bestehend aus den vier oben genannten BIP-gewichteten Währungen, in den letzten beiden Dekaden entwickelt hätte.15 Langfristig wäre der Wert dieses Währungskorbs und damit der Libra sowohl gemessen in US-Dollar als auch in Euro recht stabil gewesen. Auf kurze Sicht hätte der US-Dollar- bzw. Euro-Wechselkurs der Libra aber in einem Band von rund +/-30 % um den Ausgangswert geschwankt. Entsprechend besteht auch bei Libra vor allem kurzfristig ein nicht unerhebliches Wechselkursrisiko, das aus Sicht einer Fiat-Währung umso größer ist, je kleiner deren Anteil am Währungskorb und damit an der Libra-Reserve ausfällt. Neben diesem direkten Wechselkursrisiko unterliegen die Banken- und Staatstitel in der Libra-Reserve offensichtlich auch noch Kursänderungs- bzw. Ausfallrisiken. So können sich Rückgänge von Anleihepreisen oder im Extremfall staatliche Insolvenz oder Bankenpleiten negativ auf den Wert der Libra-Reserve und damit auch auf die Libra auswirken.

Während sich diese Risiken besonders in Krisenzeiten manifestieren, dürften in „normalen Zeiten“ aufgrund der Anlage in vergleichsweise wertstabile Anleihen und harte Währungen nur geringe Wertschwankungen auftreten. Die Libra Association selbst macht deutlich, dass sie zwar jederzeit Libra gegen Fiat-Währung tauscht, dass aber der Preis der Libra in Fiat-Währung, wie der Preis anderer Investmentzertifikate, mit dem Wert der zugrundeliegenden Assets schwanken kann.16 Der Wert der Libra ist damit auch gegenüber dem Referenzwährungskorb nicht fixiert, sondern verändert sich entsprechend der Kursentwicklung der Reserve-Assets.

Insgesamt hat Libra durchaus das Potenzial, sich zu einer relativ wertstabilen, international fungiblen Währung zu entwickeln. Zu beachten gilt allerdings, dass zum einen viele wichtige organisatorische und institutionelle Elemente derzeit noch nicht abschließend geregelt bzw. bekannt sind. Zum anderen gilt für Libra wie für andere Währungen auch, dass die Spielregeln des Währungsregimes geändert werden können. Libra könnte z. B. gegenüber dem Währungskorb aktiv ab- bzw. aufgewertet, der Tausch in Fiat-Währungen durch Kapitalverkehrsrestriktionen eingeschränkt oder das Management der Reserven verändert werden.

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